«Das Vorgehen der Krankenkassen erschwert jungen Menschen den Start ins eigenständige Leben massiv»

5 Fragen an Bea Heim zur Motion «Kinder erben Schulden»

Frau Heim, Sie haben im Nationalrat eine Motion mit dem Titel «Kinder erben Schulden» eingereicht. Sie nehmen dabei ein Anliegen auf, mit dem auch die Caritas in ihrer Schuldenberatung häufig konfrontiert ist. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Es geht bei meiner Motion um die Krankenkassenprämien für Kinder und Jugendliche. Wenn Eltern die Krankenkassenprämien ihrer minderjährigen Kinder nicht bezahlen (können), werden sie betrieben. Können die ausstehenden Prämien auch auf diesem Weg nicht eingetrieben werden, wird ein Verlustschein ausgestellt. Dieser Schuldschein verjährt erst nach 20 Jahren, und diese Frist beginnt bei einer erneuten Betreibung in der gleichen Sache neu zu laufen. Die meisten Krankenkassen versuchen nun, diese Schuldscheine der Eltern für die Kinderprämien zu 100 Prozent bei den volljährigen Kindern einzutreiben. Das heisst konkret: Junge Menschen starten an ihrem 18. Geburtstag völlig unverschuldet eine Schuldnerkarriere und dies oft mit mehreren Tausend Franken Schulden. Das Vorgehen der Krankenkassen ist zwar gesetzlich, aber ein riesiges Ärgernis. Es erschwert jungen Menschen den Start ins eigenständige Leben massiv und kann die Betroffenen auch über Jahrzehnte hinweg benachteiligen.

 

Welches sind denn die konkreten Folgen für Jugendliche, wenn sie bei Volljährigkeit Krankenkassenschulden von ihren Eltern übernehmen müssen?

Die finanziellen Folgen sind das eine: Wer mit einem Schuldenberg ins Erwachsenenleben startet, wird diesen – das zeigen alle Erfahrungen – nur schwer wieder los. Und wenn Schuldenfreiheit tatsächlich erreicht werden kann, war der Weg dahin oft sehr beschwerlich und dauerte viele Jahre. Das ist besonders bitter, wenn man persönlich für die Schulden nicht das Geringste kann. Dazu kommen bei Betreibungen weitere Folgen, die das Leben der jungen Erwachsenen zum Teil noch gravierender erschweren als die finanziellen. Mit Einträgen ins Betreibungsregister ist die Wohnungssuche schwierig, und für manche Berufe bedeuten Betreibungen ein faktisches Berufsverbot.

 

Was schlagen Sie vor, um diesen Missstand zu beheben?

Das Krankenversicherungsgesetz muss so angepasst werden, dass junge Erwachsene nicht mehr für Kinderprämien, die ihre Eltern nicht bezahlt haben oder nicht bezahlen konnten, solidarisch haftbar gemacht werden können. Es darf nicht sein, dass die Krankenkassen versuchen, die geschuldeten Prämien bei den volljährigen Kindern einzutreiben, wenn sie diese bei den zuvor zahlungspflichtigen Eltern nicht eintreiben konnten. Für die Krankenkassen kann dieses Vorgehen im Übrigen auch sehr lohnend sein: Für den Verlustschein wurden sie bereits mit 85 Prozent des Betrages vom Wohnkanton entschädigt. Gelingt es ihnen, die Ausstände der Eltern bei einem jungen Erwachsenen zu 100 Prozent einzutreiben, müssen sie nur 50 Prozent an den Kanton zurückbezahlen, sodass sie schliesslich 135 Prozent zurückerhalten.

 

Der Bundesrat lehnt die Motion ab. Was sagen Sie zu seiner Argumentation?

Sie scheint mir doch sehr formalistisch zu sein. Immerhin zeigt er den Weg zur Lösung dieses Ärgernisses auf, nämlich zum Beispiel über eine Änderung des Krankenversicherungsgesetzes, die es den Versicherern untersagt, Versicherte, die volljährig werden, für Prämienschulden aus der Zeit ihrer Minderjährigkeit zu betreiben. Aber der Bundesrat will diesen Weg nicht gehen. Das finde ich offen gesagt enttäuschend, um nicht zu sagen schwach!

 

Wie geht es weiter? Welche Chancen rechnen Sie sich aus, um Ihre Motion im Parlament durchzubringen und die Jugendlichen von dieser Schuldenfalle zu befreien?

Vorstösse, die vom Bundesrat nicht unterstützt werden, haben es in den Räten tendenziell schwer. Trotzdem rechne ich mir in diesem Fall gute Chancen aus. Denn vernünftigerweise kann niemand dafür sein, jungen Mensch pünktlich zur Volljährigkeit massive Steine in den Weg zu legen. Die meisten Betroffenen sind zu dieser Zeit noch in Ausbildung, verfügen also über wenig Geld und können die Forderungen objektiv zu diesem Zeitpunkt nicht begleichen. So wächst der Schuldenberg weiter an, mit all den oben erwähnten negativen Folgen – und zwar für Handlungen, die von den Betroffenen in keiner Weise zu verantworten sind. Das demotiviert. Allerdings hat sich leider in einem gewissen Teil des Rates in den letzten Jahren eine «Sind-doch-alle-selber-schuld»-Mentalität durchgesetzt, wenn es um sozial Schwächere geht. Aber wie gesagt, ich bin guten Mutes, dass es gelingt, mit einer «Mehrheit des guten Willens» die Motion ans Ziel zu bringen. Wir dürfen in unserem Land ganz einfach nicht so mit jungen Menschen umgehen.

 
 

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