Herr Abele, sehen Sie das Internet in Bezug auf den Umgang mit Finanzen eher als Risiko oder als Chance?
Es gibt im Internet viele verlockende Angebote, die bargeldlos erworben werden können. Das Zahlen per Kreditkarte oder Ratenzahlungen sind aber Schuldenfallen. Es wird immer mehr konsumiert bevor die Bezahlung erfolgt, was dazu führt, dass viele den Überblick über ihre effektiven Ausgaben verlieren. Für die Prävention ist das Internet aber auch eine Chance. Es ist ein sehr gutes Medium um Informationen zu verbreiten und lässt sich auch für Schulungszwecke einsetzen.
Sie haben mit „Caritas My Money“ eine App entwickelt, die zu diesem zweiten Aspekt beitragen soll. Im Internet Geld auszugeben ist sehr leicht, wie einfach ist es dank der App Geld zu sparen?
Mit der App spart man nicht direkt. Sie hilft einem vor allem einen Überblick über die eigenen Finanzen zu gewinnen und diese einzuteilen. Die App ist vor allem ein Lerninstrument.
Wie manifestiert sich dieser Lerncharakter?
Die Nutzerinnen und Nutzer lernen, wie sie ihr Geld einteilen müssen, damit ihre Bedürfnisse gedeckt werden können. Die häufigsten Einnahmen- und Ausgabenposten sind in der App vorgegeben, individuelle Posten können manuell ergänzt werden. Zusätzlich wird nach fixen und variablen Ausgaben unterschieden. Auf diese Weise lernt man sehr praktisch und mit starkem Bezug zur eigenen Situation, wie ein Budgetierungsprozess funktioniert. So können beispielsweise Rückstellungen für die Steuerrechnung oder die Ferien auf ein bestimmtes Fälligkeitsdatum hin geplant werden und anschliessend kann ganz gezielt das Geld dafür zurückgelegt werden. Daneben kann man via App auf die «10 goldenen Regeln im Umgang mit Geld» und auf zahlreiche Geldtipps zurückgreifen.
Die App ist also eher ein Mittel zur Schuldenprävention?
Ja, das ist klar unser erstes Ziel. Die App erleichtert den Überblick über die eigenen Finanzen, damit trägt sie zu einem Lernprozess bei der Budgetierung bei. Gerade Jugendliche können damit grundsätzlich lernen, welche Ausgaben für sie überhaupt relevant sind und wie sie sich darauf vorbereiten können und müssen.
Fokussiert die App denn speziell auf eine jüngere Zielgruppe?
Wir haben „Caritas My Money“ spezifisch für Junge entwickelt, da wir davon ausgehen, dass gerade Jugendliche auf dieses Medium besonders gut ansprechen. Die App wird heute insbesondere im Unterricht zur finanziellen Bildung auf Stufe Sekundarschule und Berufsschule (Sek I und II) eingesetzt. Die App ist aber für alle Altersstufen gut nutzbar.
Wie oft wurde die App heruntergeladen?
Seit der Veröffentlichung im März 2014 wurde die App über 14'000 mal heruntergeladen. 2017 waren es 4'452 Downloads und die Kurve ist weiterhin steigend. Der Peak ist jeweils im Januar, da viele Berufsschulen dann das Thema Finanzen besprechen.
Sind denn Jugendliche heute besonders von der Verschuldung betroffen?
Die Problematik der Verschuldung durch Konsum trifft vermehrt Jugendliche. Sie haben noch wenig Geld und auch weniger Erfahrungen im Umgang damit, sind aber den gleichen Verlockungen ausgesetzt wie Erwachsene. Hinzu kommen Zwänge wie Gruppendruck. Ihnen muss man aufzeigen, dass sie begrenzte Ressourcen haben und sie rechtzeitig auf Risiken aufmerksam machen. Grundsätzlich können alle Bevölkerungsgruppen in eine Überschuldung geraten. Am höchsten ist das Risiko zwischen 30 und 50 Jahren. Hier erfolgen am häufigsten einschneidende Veränderungen wie Stellenverlust oder -wechsel sowie Scheidungen oder auch Krankheiten, die die Menschen aus der Bahn werfen können.
In solchen Situationen reicht eine App alleine wohl nicht mehr aus?
Grundsätzlich nicht, nein. Wenn die Verschuldung zu einem Problem wird, ist eine persönliche Beratung durch eine Fachperson nötig. Dort wird eine Auslegeordnung über die Höhe aller Schulden und die vorhandenen Einkünfte und Ausgaben erstellt. Auch die soziale und gesundheitliche Situation der Betroffenen wird einbezogen. Dann wird ein Sanierungsplan aufgestellt oder man bereitet die Person auf das Leben mit Schulden vor.
In einer Schuldenberatung lernen Erwachsene also auch, sich auf eine neue Lebenssituation einzustellen und mit dieser umzugehen. Sehen sich Schuldenberater auch als Erwachsenenbilder?
Ich denke Schuldenberater sind in erster Linie Coaches, die den Menschen helfen, ihre finanziellen Probleme in den Griff zu kriegen.
Welche Kompetenzen muss man dafür mitbringen?
Die meisten Schuldenberaterinnen und -berater sind in Sozialarbeit ausgebildet. Sie benötigen Durchsetzungsvermögen, Belastbarkeit, Verhandlungsgeschick und soziale Kompetenz. Sie müssen gegenüber Menschen in einer schwierigen Situation Vertrauen schaffen können, damit die Betroffenen mit ihnen zusammenarbeiten und alles offenlegen. Hinzu kommen natürlich die spezifischen Fachkompetenzen im finanziellen aber auch im gesetzlichen Bereich.
Der pädagogische Aspekt steht also im Hintergrund?
In der eigentlichen Schuldenberatung ist das so. Es gibt aber viele Organisationen die Präventionsarbeit leisten, indem sie Veranstaltungen, Kurse und Workshops anbieten. Hier kommt der Bildungsgedanke stärker zum Tragen.
Die meisten Betroffenen melden sich bei Ihnen, wenn Sie in einer Notsituation sind. Wie geht man damit um?
Das ist unser tägliches Métier. Die Menschen melden sich meistens erst dann, wenn ihnen die Schulden bis zum Hals stehen. Es geht darum, sich das Anliegen zuerst anzuhören und das Problem dann Schritt für Schritt individuell und professionell angehen. Helfen kann man immer. Die Frage ist, ob man die Menschen wieder schuldenfrei machen kann. Das ist bei Menschen mit hohen Schulden und wenig Einkommen tatsächlich oftmals nicht möglich. Hier geht es darum aufzuzeigen, wie man mit Schulden leben kann, ohne neue Schulden zu bekommen.
Wie stark setzen diese Betroffenen schon auf die App der Caritas?
Im Alltag ist die App noch nicht sehr verbreitet. Die meisten Personen setzen bei der Budgetplanung heute doch noch auf das „Milchbüchlein“ und notieren die Ein- und Ausgaben auf Papier.
Woran liegt das?
Ich glaube das hängt damit zusammen, dass sich die meisten Leute noch nicht gewohnt sind, bei jeder Ausgabe das Handy zu zücken und diese zu notieren. Aber auch das wird sich verändern. Bis vor kurzem konnte man sich auch nicht vorstellen, dass die Leute direkt die Produkte einscannen und per Handy bezahlen. Ich kann mir aufgrund dieser Entwicklung gut vorstellen, dass die App zukunftsweisend ist.
Dieses Interview wurde im März 2018 von Philipp Schüepp vom Schweizersichen Verband für Weiterbildung geführt und publiziert.